Eine allgemeine Technik- und Fortschrittseuphorie und der feste Glaube an die Vereinbarkeit wirtschaftlicher und sozialer Aspekte bildeten die Grundlage vieler heiß diskutierter Architekturutopien und Konstruktionssysteme der 1960er-Jahre. Max Mengeringhausens Raumfachwerke aus Stahlstäben oder Helmut Spiekers »Marburger Bausystem« mit frei kombinierbaren Betonfertigteilen ­waren Otto Steidle zu dieser Zeit ebenso vertraut wie die Visionen von Archigram oder die Raumstadt-Konzepte Yona Friedmans. Trotz des programmatischen ­Titels »Tragstruktur für prozesshaftes Wohnen« handelte seine an der Münchner Akademie der Bildenden Künste 1969 verfasste Abschlussarbeit weder von abstrakten Konstruktionsmethoden noch enthielt sie Ideen für weltumspannende Städtebaukonzepte. Steidles Interesse galt vielmehr sich wandelnden Wohnformen, dem handwerklich-praktisch Umsetzbaren, der Neuinterpreta-tion der gewohnten Zusammenhänge zwischen Haus, Straße und Hof und der Entwicklung dreidimensionaler Erschließungs- und Kommunikationsstrukturen, so vielfältig und kommunikativ wie die Stadt selbst. (Roland Pawlitschko)