Diskussion: Komplexität in der Einfachheit – Über die Imagination in der Kunst

© Kasimir Malewitsch, Tretjakow-Galerie
© Yves Klein, ADAGP, VG Bild-Kunst
© Barnett Newman, DIGITAL IMAGE, Museum of Modern Art
Wir tendieren dazu, Simplizität und Komplexität als polare und einander ausschließende Gegensätze anzusehen. Wenn wir von logischen oder mathematischen Phänomenen sprechen, mag dies vertretbar sein, doch unsere Gedankenwelt und unser künstlerisches Vorstellungsvermögen unterliegen nicht den Regeln der Logik. Durch unseren Geist strömt ein konstanter Fluss von Bildern, Gedanken, Assoziationen, Er­innerungen und Träumen. Während der ­logische Prozess fokussiert, öffnet und erweitert die emotionale Ergründung eines Kunstwerks den Blickwinkel; eine logische Einheit ist ausschließlich, die Imagination in der Kunst strebt nach Einschließlichkeit. In seinem Buch »The Philosophy of No: A Philosophy of the New Scientific Mind« argumentiert der französische Wissenschafts- und Literaturphilosoph Gaston Bachelard, wissenschaftliches Denken folge stets einem vorgezeichneten Pfad: vom Animismus über Realismus, Positivismus, Rationalismus und komplexen Rationalismus hin zu dialektischem Rationalismus. »Die philosophische Entwicklung einer bestimmten wissenschaftlichen Erkenntnis durchläuft all diese Lehren in der angegebenen Reihenfolge«, so Bachelard. Bezeichnenderweise strebt künstlerisches Denken in die genau entgegengesetzte Richtung; die Künste arbeiten sich von einem realistischen, rationalen und analytischen Weltverständnis zurück zu einer allgemeinen mythischen und animistischen Erfahrung. Die Kunst will unser Verhältnis zur Welt wieder mystifizieren, neu verzaubern und erotisieren. (Juhani Pallasmaa)