Die in Deutschland geführte Debatte über die Verwendung von liturgisch nicht mehr benötigten Kirchengebäuden geht inzwischen in ihre vierte Dekade. In über 30 Jahren »Umnutzungsgeschichte« haben sich viele Prognosen als falsch erwiesen, Moralvorstellungen gewandelt, Positionen der beteiligten Gremien verändert, politische Systeme aufgelöst und der Zeitgeist einstige Ressentiments hinweggeweht. Nur vor diesem Hintergrund können die Umnutzungsprojekte in der Bundesrepublik und der ehemaligen DDR von Anfang der 1980er-Jahre bis zum heutigen wiedervereinigten Deutschland verstanden und bewertet werden.
Der oft geführte Verweis auf spektakuläre Umnutzungsprojekte in den Niederlanden oder in Großbritannien ist daher illegitim. Die Entwicklung der »Umnutzungskultur« in der Bundesrepublik ist schon alleine deshalb nicht mit diesen Ländern vergleichbar, weil es sich in der Regel um andere Religionsgemeinschaften und damit um ein anderes Verhältnis der Gläubigen zu ihrem Gotteshaus handelt. Außerdem ist hierzulande die historisch begründete Verflechtung zwischen den beiden großen christlichen Glaubensgemeinschaften und dem Staat – auch und gerade in finanzieller Hinsicht – weltweit wohl einmalig.
Insofern ist schon die Situation für die katholischen Bistümer und die evangelischen Landeskirchen in den beiden deutschen Staaten zu Beginn dieser Entwicklung höchst unterschiedlich und durchaus nicht vergleichbar. In der Bundesrepublik tritt ­Ende der 1970er-Jahre in West-Berlin aufgrund des enormen Mitgliederschwunds der evangelischen Gemeinden das Problem der »überzähligen« Kirchengebäude erstmals auf. Mit den »Berliner Gesprächen« unter der Überschrift »Neue Nutzung von Alten Kirchen« Ende 1987 beginnt eine öffentliche Diskussion über die Verwendung von nicht genutztem Kirchenraum. Die »Berliner ­Gespräche« werden veranstaltet von der »Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (Berlin West)«, der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz sowie dem Institut für Kunstwissenschaften der Technischen Universität Berlin. Bis 1994 folgen vier weitere Symposien unter gleichem Titel doch mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten.1 Die erste Tagung setzt sich mit den historistischen Berliner Großstadtkirchen auseinander, die allein aufgrund ihres Bauvolumens von den Gemeinden finanziell nicht mehr unterhalten werden können. Doch auch ein anderes Problem wird in der Auseinandersetzung deutlich. Die oft mit mehr als 2000 Sitzplätzen ausgestatteten Gotteshäuser mit ihren engen Bank­reihen »passen« nicht mehr zu der jungen Gemeinde. Dies gilt sowohl bezogen auf ihre Kapazität als auch auf ihre inhaltliche Ausrichtung. Das Kirchengebäude solle, so die Argumentation einiger Referenten, das Bild der Gemeinde widerspiegeln und dies sei mit den gründerzeitlichen Großkirchen nicht gegeben. (Rainer Fisch)